Holz neu denken! Wie Schweizer Handwerkskunst auf Ecuadorianische Vielfalt trifft

Nach unserer Entscheidung, wieder in Ecuador zu leben, liess mich ein Gedanke nicht mehr los: Wie wäre es, das schweizerische duale Bildungssystem – zunächst für Zimmereileute – im Land zu etablieren? Doch zwischen Idee und Umsetzung liegt ein langer Weg.

Vor Ort wurde mir schnell die Realität der ecuadorianischen Holzwirtschaft bewusst: Massivholz ist sehr teuer – nicht nur im Einkauf, sondern auch in seiner ökologischen Bilanz. Denn die hohe Nachfrage gefährdet unsere wertvollen Primär- und Tropenwälder. Ich erforschte den ecuadorianischen Markt und stiess auf das, was die Grundlage moderner europäischer Zimmermannsbaukonstruktionen ist, nämlich auf BSH (Brettschichtholz) aus Fichte, Kiefer und Tanne. Obwohl diese Balken eine ausgezeichnete Qualität aufweisen, sind sie aufgrund ihrer Produktionskosten nicht mit den traditionellen Bauprodukten (Beton und Stahl) auf dem Markt konkurrenzfähig. Aus diesem Grund gab ich die Suche auf und konzentrierte mich vollumfänglich auf das Erwerben des Diplomabschlusses «Maestro artesano en carpinteria de construcciones».

Und dann kam die Wendung: Ich begegnete dank dieser Ausbildung Andrés Guerrero, einem passionierten Handwerker in dritter Generation. Mit seiner Erfahrung in der Herstellung von Türen, Böden und anderen Holzprodukten, sprach er in seinem Abschlussprojekt über seine Vision „No hay Madera mala»(es gibt kein schlechtes Holz). Das traf einen Nerv – und stiess bei mir auf offene Türen. Diese offene Tür ermöglichte mir einen weiteren Schritt in Richtung Dualschulsystem zu nehmen.

Unsere gemeinsame Frage: Wie können wir Fachleute im Holzbau ausbilden, wenn weder Nachfrage noch erschwingliche Materialien vorhanden sind? Unsere Antwort: Wir produzieren selbst – und zwar mit einheimischen Holzarten. In Andrés‘ Werkstatt begannen wir mit der Fertigung einfacher Leimbinder. Noch ohne Hightech, jedoch mit erfolgreichen Resultaten. Diese konnten wir bei diversen Universitäten vorstellen und somit Aufmerksamkeit auf uns ziehen.

Doch warum auf Fichte, Tanne und Kiefer beschränken, wenn Ecuador über 2’000 nutzbare Holzarten beheimatet? Eine davon: Pigüe (Piptocoma discolor) – ein schnell wachsendes Sekundärwaldgewächs, das schon nach zehn Jahren erntereif ist. Es ist in ganz Südamerika verbreitet und wird traditionell für einfache Bauten und Obstkisten verwendet. Doch genau dieses Handwerk stirbt aus – verdrängt durch Plastik und Karton.

Unser Ziel: Pigüe und ähnliche Arten in den modernen Holzbau zu integrieren – von Leimbindern über Massivholzböden bis hin zu hochwertigen Möbelstücken. So entsteht nicht nur ein neuer Markt, sondern auch eine verlässliche Einkommensquelle für ländliche Familien, die bislang kaum Perspektiven haben.

Was als kleine Vision begann, hat bereits erste Kreise gezogen: Mit an Bord sind der anerkannte Architekt Oscar Jara, der spezialisiert ist für seine Arbeit mit Totora-Schilf, sowie Henry Sánchez, Gründer der wissenschaftlichen Station Sumak Kawsai In Situ. Gemeinsam bilden wir das Andes-Swiss Woodwork Team – ein offenes Netzwerk für Fachleute und Forschende im Bereich Naturschutz und nachhaltiger Baustoffe.

Erste Partnerschaften mit Universitäten sind entstanden, und wir dürfen künftig Workshops zum Thema Holz anbieten. Das ist ein wichtiger Schritt, um die duale Ausbildung nach Schweizer Vorbild auch in Ecuador Realität werden zu lassen.

Derzeit arbeiten wir an einem Pilotprojekt: Eine Holzkonstruktion in extremer Feuchtigkeit, errichtet in der ökologischen Reserve Sumak Kawsai In Situ im „Langanates-Sangay“-Korridor. Gebaut wird nach Schweizer Standards – getestet im tropischen Regenwald. Ein Experiment, das Zukunft schreiben könnte.

Dank dem, dass wir nun im Austausch mit diversen Universitäten sind, haben wir die Möglichkeit unsere empirischen Entdeckungen auch auf technische Daten hin zu prüfen und Architekten als Übermittler des neuen Produktes zu gewinne. Die unendlichen Möglichkeiten des Holzes werden somit im Land gestreut.

Ein herzliches Dankeschön an Folk Fimer für den tollen Imagefilm

Mach aus deinem Geld kein totes Holz – sondern lebendige Zukunft!

Investiere in Pigüe statt in Plastik – für Wälder, Wissen und Wandel!

Wir freuen uns über jede Unterstützung – sei sie gross, klein, glänzend oder genial. Zusammen bringen wir Holz, Herz und Hirn in Bewegung. Schreibe uns unter leoalvague2@yahoo.com um gemeinsam an einer neuen Zukunft zu bauen.

Krieg in Ecuador? Lieber sprechen wir über Intis Schule!

Seit Januar herrscht der Ausnahmezustand in Ecuador. Der kürzlich gewählte Übergangspräsident Daniel Noboa greift mit allen Mitteln gegen die Drogenkartelle aus Mexiko und Albanien durch. Er hat die verschiedenen Drogen-Mafias als terroristische Gruppierungen eingestuft und somit den Kriegszustand ausgerufen. So kann nun das Militär vor allem an der Küste und am Hafen miteingreifen.

Wir merken zum Glück rein gar nichts davon. Das Leben verläuft völlig normal. Wir fühlen uns hier in Río Negro sicher, gut aufgehoben und sehr wohl. Wir hatten auch schon Besuch aus der Schweiz und aus Deutschland. Auch sie berichteten von nichts aussergewöhnlichem auf ihrer Reise durch Ecuador.

Das einzige, was wir gespürt haben, war dass ein Versammlungsverbot herrschte und unserer geliebte Rumbaterapia (Zumba) im Dorf nicht stattfand, sowie, dass die Kinder im Homeschooling sein mussten. Das Homeschooling machte uns am meisten zu schaffen. Die Kinder mussten täglich 2h am Bildschirm aufmerksam der Lehrerin zuhören, währenddessen im Teams alle Mikrofone auf Laut gestellt waren. Durch das ganze Gerede und hin und her konnten die Kinder sich wirklich nicht konzentrieren. Die Lehrerin bat Inti mehrfach, sich doch wieder hinzusetzen und nicht immer unserer Katze hinterherzujagen. Nach den 2 Stunden gab es haufenweise Hausaufgaben. Ich verbrachte also den ganzen Tag damit, dass Inti aufmerksam mitmachte, dass ich keine wichtigen Infos von der Lehrerin verpasste und gleichzeitig musste ich schauen, dass Amaru nicht noch nebenbei einen Unfug anstellt oder wie so oft bei Langeweile die Tiere belästigt. Danach folgten mühselige Hausaufgaben. Auch von anderen Eltern hörte ich, dass sie damit an den Anschlag kamen. Gott sei Dank ist nun die Schule wieder vor Ort und das Versammlungsverbot aufgehoben. Leo und ich tanzen und schwitzen nun wieder ganz fröhlich mit dem halben Dorf zu Latinobeats im Gemeindesaal. Die Ausgangssperre gilt momentan in unserer Region nur noch von 2 Uhr bis 5 Uhr Nachts, was uns ja sowieso nicht betrifft. Jetzt aber zu etwas interessanterem als dem Krieg und Ausgangssperren.

Schule und Weihnachten

Gerne zeige ich euch die Schuluniformen von Inti.
Am Montag sind die schönen Kleider mit Krawatte Pflicht. Dazu gehören auch schöne Schuhe. Am Dienstag werden die gelben Sportkleider mit schwarzen Sportschuhen getragen, am Mittwoch das Poloshirt mit den schönen Hosen, am Donnerstag Plomo, also graue Sportkleider (davon habe ich leider kein Foto) und am Freitag wieder die gelben Sportkleider. Zum Malen und Basteln tragen sie eine Schürze, die auch dazu gekauft werden musste.

Leo erzählte mir, dass seine Uniformen für ihn sehr wichtig waren, da er neben den Schulkleidern armutsbedingt nur zwei weitere private Kleidungsstücke besass. Ich sehe viele Kinder, die mit den Schuluniformen den ganzen Tag herumlaufen oder damit sogar schwimmen gehen. Für sehr arme Kinder sind die Uniformen also essenziell. Diese müssen von den Eltern selbst bezahlt werden. Insgesamt haben wir für Intis Schulkleider 75 USD ausgegeben. Dazu kommen viele Schulmaterialien und Bücher sowie leere Hefter. Eigentlich wäre die Schule hier ja gratis, aber das sind nur Wunschvorstellungen. Die Schulen haben nicht genug Geld. Sogar an einem Schulkopierer mangelt es. Die Eltern, welche keinen Drucker zu Hause haben (das sind viele) müssen dann in die Dorf Papeterie um für 10-25 Cent pro Papier einen Ausdruck zu holen.

Die schönen Montagskleider
Evelyn, die Cousine von Inti trägt die Mädchen-Montagskleider
Sportkleider
Malschürze und Poloshirt

Auch die Weihnachtsdeko und den speziellsten Weihnachtsbaum möchte ich euch hier nicht vorenthalten. Was mich immer wieder schockiert ist der Kult um die Schönheitsköniginnen des Dorfes, der Region, der Stadt oder des Landes. Wir mussten am Weihnachtsfest über eine Stunde die verschiedenen Weihnachts-Dorf-Prinzessinnen bewundern und am Schluss wird immer die schönste davon gekürt. Die rigorose und meist gemeine Schönheitsbewertung von bereits kleinsten Mädchen führt dazu, dass schon junge Mädchen sich Po, Brüste und Nase operieren. Die Mütter stecken viel Geld und Zeit in die «Verschönerung» ihrer Mädchen aka Prinzessinnen.

Alle Kinder mussten als Engel in die Schule. In einer Nacht- und Nebelaktion hat Leo die Flügel zusammengebastelt. Immer ganz kurzfristig oder um 21 Uhr gibt die Lehrerin bescheid, was am nächsten Tag gebraucht wird.
Dekorieren des Schulzimmers. Ein Schneemann im Dschungeldorf. Der US-Amerikanische Einfluss ist enorm. Kommerz lässt Grüssen.
Die Klassenlehrerin neben der Weihnachtsprinzessin, der Weihnachtskönig und der Weihnachtsmann
Es schockiert mich jedes Mal aufs Neue wie viel Aufmerksamkeit den Prinzessinnen gegeben wird.
Was das wohl wird?
Jetzt wird es schon klarer… Übrigens, die Plakate an der Wand gab es schon, als Leo hier in diesem Zimmer zur Schule ging.
Der wunderschöne Plastikflaschen Weihnachtsbaum. Die Klasse hat den 1. Preis für das schönste dekorierte Schulzimmer herhalten. Die Kinder haben einen Zoobesuch gewonnen.

Auch, wenn Weihnachten schon lange vorbei ist, wollte ich euch diese Fotos nicht vorenthalten. Leider fand ich mit all dem Homeschooling Trubel keine Zeit, euch mit all unseren Abenteuern auf dem Laufenden zu halten. Auch haben wir realisiert, dass der Schulunterricht für Inti sehr überfordernd war und bei uns in der Familie viel Druck und Unmut erzeugte. Daher haben wir uns entschlossen, ihn wieder aus der Schule zu nehmen. Die Schule der Kinder beginnt um 7 Uhr am Morgen. Wenn man nur um 7.01 Uhr ankommt, ist die Türe schon geschlossen und der Unterricht für den ganzen Tag vorbei. Das ist eine Sicherheitsmassnahme des Dorfes. Auch muss mindestens ein Elternteil das Kind immer in die Schule bringen und von dort wieder abholen. Der Unterricht endet um 12 Uhr. Wenn die Kinder mit den Aufgaben noch nicht fertig sind, kann es schon 12.30 Uhr werden. Für 5 bis 6-Jährige Kinder finde ich das schon extrem früh und lange. Auch mit der Kommunikation der Lehrerin kamen wir nicht zurecht. Sie kann, wenn sie will, ein WhatsApp senden und um 10 Uhr oder 11.30Uhr schon sagen, dass die Kinder abholbereit sind. Das heisst also, dass immer jemand «abrufbereit» sein muss. An so einem dieser Tage war ich zu Fuss unterwegs als mich Carla, die Nachbarin, mit ihrem Motorrad aufgabelte. Mitsamt unserem Hund Oliver und Amaru fuhren wir also gemeinsam auf ihrem Motorrad zur Schule um die Kinder abzuholen. Was für ein Bild :).
Bis Inti sich akklimatisiert hat, bei uns etwas Ruhe eingekehrt ist und wir den Baustress etwas überwunden haben, werde ich Inti zu Hause unterrichten. Das spannende ist, dass er um 20 Uhr am meisten aufnahmefähig und motiviert ist etwas zu lernen. Dann rechnet er wie wild und schreibt schon fleissig Wörter auf. Auch das Lesen fällt ihm immer leichter. Für den Englisch-Unterricht haben wir eine Applikation gekauft. Er freut sich jeden Tag 20 min, mit dem App eine weitere Sprache zu lernen. Er ist schon weiter als die Kinder aus der Schule. Alles ohne Druck und alles mit viel Spass. So sollte es doch sein, oder? Leider werden hier viele Kinder noch mit dem Gürtel «erzogen».

Beim nächsten Blog möchte ich euch ein paar Eindrücke von unserer Baustelle zeigen und von unseren Projekten erzählen.

Ich wünsche euch allen eine schöne Fasnacht oder tolle Skiferien

Alles Gute aus dem sehr friedlichen, momentan Fasnächtlichen Río Negro!