Quarantäneleben

Ja, wie lebt es sich seit über 1.5 Monaten hier in der Quarantäne? Ich würde sagen, sehr gut. Wir sind jeden Tag aufs Neue so dankbar über die grüne Fülle, welche unser Land zu bieten hat. Auch ist es richtig schön, einfach mal nur in der Familie zu sein und keine grösseren Dramen oder Telenovelas der Anderen mitzubekommen. Im Dorf gibt es genügend Nahrungsmittel zu kaufen und der Gemüse- und Früchtehändler kommt sogar 1x die Woche, mit den entsprechenden Schutzmassnahmen, vor unsere Haustüre gefahren

Gleich zu Beginn der Quarantäne wurde unsere jüngste Hündin Chiquita von einem Auto angefahren. Da wir kein Auto zur Verfügung hatten und wir durch die Ausgangssperre nicht zum Tierarzt konnten, haben meine beiden Männer tatkräftig Hand angelegt. Ich staune immer und immer wieder über das breite Wissen von Leo. Die guten Gedanken unserer Freunde und das Kräuterwissen meines Mannes haben geholfen, dass unsere » kleine» nun fast vollständig genesen ist.

Chiquita mit den beiden Ärzten

Es gibt immer was zu tun. Sei es im oder um das Haus.

Ein Bettgestell muss her. Der kreative Meister war am Werk. 100% Nachhaltig. 100% effektiv. Es schläft sich wie im Traum. 100% günstig. Materialkosten 12$.

Wenn es keine Frisöre gibt, muss selber Hand angelegt werden.

Am 14. April konnten wir nach über einem Monat wieder einmal nach Baños fahren um eine Schwangerschaftskontrolle wahrzunehmen und endlich wieder einmal in den Supermarkt zu gehen. Da in Ecuador nun Maskenpflicht ist, bot sich uns ein trauriger Anblick. Leere Strassen, geschlossene Geschäfter und grosse Schlangen bei den Banken und beim Supermarkt. Immer bedacht, dass 2m Abstand eingehalten werden müssen und dass nur eine gewisse Anzahl Menschen hinein gelassen werden. Einigen Menschen genügte die Maske nicht, sie waren in Vollmontur, also in Ganzkörperanzügen gekleidet. Angst und Unsicherheit war unter den Menschen zu spüren.

Apropos Bank. In Rio Negro gibt es keine Bank oder Bankomaten. In den kleineren Dörfern hat es das nicht. Daher ist es wichtig für die Menschen, in grössere Dörfer oder Städte zu gelangen um Bargeld abzuheben. Auch kann in den Dörfern nur bar bezahlt werden. Unvorstellbar für uns Schweizer, oder?

Bei der Schwangerschaftskontrolle konnten wir mit freudigen Nachrichten aus der Klinik. Alles sieht blendend aus und das Baby entwickelt sich sehr gut. Was für ein grosses Glück.

Nun wollten wir also die Rückreise mit dem ausgeliehenen Auto der Cousine antreten. Alle Einkäufe wurden verstaut und jetzt sollte es wieder ins grüne Paradies gehen. Nix gewesen, wir sind hier in Ecuador… Das Auto wollte nicht anspringen. Es gab praktisch niemanden, der uns auf der Strasse helfen konnte. Wir riefen unsere Freunde an. Auch diese konnten uns nicht helfen, da nur an gewissen Tagen die Autos mit den entsprechenden Nummernschildern zirkulieren durften. Ihre Nummer war an diesem Tag nicht dran. Wir kamen langsam in einen Stress, da es schon 11.30 Uhr war und die Ausgangssperre ab 14 Uhr ausgerufen wird. 30min brauchen wir um nach Rio Negro zu kommen. Glücklicherweise konnte uns dann doch geholfen werden und mit einem Überbrückungskabel wurde der «Göppel» wieder zum Laufen gebracht. Wir schafften es vor 14 Uhr wieder sicher nach Hause. Aber ab dann machte der rote Schlitten keinen Wank mehr. Diese Reise war für mich sehr anstrengend und ich kann es nicht genug sagen. Wir sind so dankbar, die Quarantäne nicht in einer Stadt, sondern auf unserem friedlich, ruhigen Land zu verbringen.

Nun sind wir fleissig an den Vorbereitungen zur Geburt. Eine tolle Hebamme haben wir gefunden. Leider konnten wir momentan nur über Videotelefonie mit ihr kommunizieren. Aber wir sind über Whatsapp in Kontakt und ich bekomme fast täglich gute Tipps von ihr. Momentan schmerzen meine Hüfte sehr, und ich kann fast nicht mehr laufen. Nicht nur unser Land sondern auch mein Bauch symbolisiert die pure Fülle…langsam wärs Ok, wenn der Bauch nicht mehr so schnell weiterwachsen würde. Es wird alles etwas mühsamer aber es geht ja nicht mehr all zu lange. Leider konnten wir bis jetzt noch keine Babykleider oder Utensilien organisieren. Hier werden die Kleider selten weiter gegeben und da die Läden alle geschlossen sind, kann auch nichts gekauft werden. Auch wird keine Post mehr nach Ecuador versendet. All unsere Babysachen in unserem Keller in der Schweiz bleiben wo sie sind.

Apropos Post. Hier auf dem Land gibt es keine Hausadressen geschweige denn eine Post. Falls jemand mit dem Taxi zu uns gelangen will, muss er/sie sagen : «Bitte nach Rio Negro al otro lado (auf die andere Seite), dass heisst auf die andere Seite des Flusses donde la Familia Alvarado (zur Familie Alvarado). So geht das. Auch gibt es keine Hausklingeln. Wenn jemand also zu Besuch kommt wird gepfiffen oder der Name des Hausbestzers wird gerufen. Geklopft wird selten. Die nächste Post befindet sich in Baños. Dort muss alles abgeholt werden. Momentan beneide ich euch um eure Onlinebestellmöglichkeiten und den Service public in der Schweiz. Das gibts hier leider auch nicht.

Wir haben grosse Hoffnung, dass ab nächster Woche die Restriktionen gelockert werden und wir wieder etwas freier reisen und einkaufen können. Wie gesagt, einiges würden wir gerne fürs Baby einkaufen und gerne würden wir uns bald eine Geburtsklinik in Puyo anschauen gehen.

Leider ist das Virus in unserem Dorf angekommen. Zwei Fälle sind bestätigt. Diese Menschen und deren Familie sind isoliert. Am Freitag wuden alle Strassen mit Chlordesinfektionsmittel mittels eines Traktors desinfiziert…leider kamen sie auch zu uns hochgefahren. Gott sei Dank schüttete es wenig später wie aus Kübeln und nun hoffe ich, dass das ganze Chlor weggespühlt wurde. Wir haben auch erfahren, dass es hier im Dorf keine Corona Tests gibt. Zu aufwändig, zu teuer. Aber ab nächster Woche sollten 100 Schnelltests geliefert werden. Auch das ist Ecuador…

Wir bleiben hier…

Unser Rückflug, der für den 21.4 geplant war, wurde gestrichen. Auch hier herrscht seit 3 Wochen der Ausnahmezustand. Ausgangssperre von 14-5 Uhr, die Schliessung aller Läden ausser der Lebensmittelläden, keine öffentlichen Verkehrsmittel und der fast völlige Stillstand in den Städten ist wie gesagt, seit 3 Wochen unsere Normalität. Wir sind seit der Krise jeden Tag in Kontakt mit der Schweizerischen Botschaft in Quito. Da es praktisch keine Flüge von und nach Europa gibt, informieren sie uns laufend über Rückflugmöglichkeiten. Eine neue Regelung ist, dass man nicht mehr 2h vor Abflug am Flughafen sein muss, sondern 5h!!! vorher. Weiter gibt es in jedem kleinen Dorf und an den Provinzgrenzen Kontrollen der Polizei oder des Militärs. Wenn kein «Salvoconducto» also Durchfahrtsschein vorhanden ist, dann kommt man nicht vom Fleck. Dieses Papier bekommt man bei Notfällen, bei dringenden Arbeiten oder wenn ein Flugbillett vorhanden ist, wird es von der Botschaft ausgestellt. Ein verfrühter Rückflug wäre unter diesen besonderen Umständen für uns purer Stress gewesen. Auch konnten nur noch Flüge nach Madrid, Paris oder Amsterdam gebucht werden. Von dort aus hätte dann weiter geschaut werden müssen, wie man in die Schweiz kommt. Auch gilt eine 10 Tägige Quarantäne, wenn aus Ecuador in die Schweiz eingereist wird. Wir ersparen uns diesen Stress und bleiben wo wir sind, nämlich in unserem Haus umgeben von unserem grünen Paradies. Wir bleiben bis zur Geburt unseres zweiten Kindes hier. Danach versuchen wir so schnell wie möglich für das Baby einen Reisepass zu erhalten. Wir hoffen somit ende August wieder in der Schweiz zu sein.

Zurück zu den Wurzeln, das ist momentan die Devise in Rio Negro. Das Brot wird bei uns wieder selber gebacken und das Land vor dem Haus mit Kürbis, Gurken, Yuca, Kartoffeln, Kakaopflanzen, Bohnen etc. angepflanzt. Die Vorräte mit Linsen, Mehl, Bohnen, Reis, Kartoffeln, Mais etc. sind aufgefüllt. Bananen, Zitrusfrüchte, Guave, Kaffeepflanzen, Zuckerrohr und Papaya wachsen wie Unkraut um unser Haus herum. Wasser ist in Rio Negro auch keine Mangelware. Die Quellen sind noch nie versiegt. Wir wären also für das Schlimmste gerüstet. Aber momentan bekommen wir im Dorf noch alles Grundlegende. Nur das heiss geliebte Jogurt von Inti und das Brot vom Bäcker gibts momentan nicht mehr. Es ist schon sehr speziell. Durch die Ausgangssperre und den Hausarrest, kann nur eine Person pro Familie einkaufen gehen. Für mich als Schweizerin, die sich noch nie im Verzicht üben musste, (das tönt schon so wahnsinnig oder?) ist diese Erfahrung momentan schon sehr horizonterweiternd. Mit erstaunen schaue ich die Nachrichten in der Schweiz. Hamsterkäufe inkl. WC Papier, leere Regale usw., obwohl die Grundversorgung laut Bundesrat weiterhin gewährleistet ist, und es, ausser Hefe und anderen Dingen, noch fast alles zu kaufen gibt. Wir jüngeren Schweizer mussten noch nie mit Verzicht umgehen. Wir leben, oder lebten in purer Fülle. Das ist schon ein unglaublich, riesiges Glück.

Wie ist es hier in Ecuador? Erst noch im Oktober musste das ganze Land durch den Generalstreik wegen der Strassenblockaden hungern. Es gab keine Gasflaschen mehr zu kaufen, also machten die Menschen auf den Strassen oder vor dem Haus Feuer um zu kochen, die Lebensmittelpreise explodierten, weil es nichts mehr zu kaufen gab. Die meisten haben sich mit Reis, Tomanten und Eiern über die Runden gebracht. Was will ich damit sagen? Viele Ecuadorianer leben von der Hand in den Mund. Sie haben keine fetten Bankkonten oder Geldanlagen. Wie schon gesagt, sie haben eher Schulden. Sie sind es geübt im Mangel zu leben oder Krisen zu bewältigen. Daher spüre ich hier die Menschen ruhig und hilfsbereit. Gerade heute kam der Gemeindepräsident mit einem Sack voll Lebensmittel zur alleinerziehenden Tante mit vier Kindern. Sie hat kein Geld für Gas, Windeln oder eben Lebensmittel. Der Gemeindepräsident verschenkt seinen ganzen Monatslohn um den ärmeren Leuten in Rio Negro zu helfen. Was für eine schöne Geste.

In den Städten, vor allem an der Küste herrscht aber auch Panik. Es wird berichtet, dass die vielen Toten von den Familien einfach auf die Strasse gebracht und dort zum Teil angezündet werden. Die Angst angesteckt zu werden ist zu gross. Die Spitäler in Guayaquil, der Notdienst und Bestatter sind völlig überfordert. Somit bringt sie niemand ins Krematorium…Ob die Menschen am Virus sterben oder eine andere Todesursache vorliegt wissen wir nicht. Guaya, die Küstenregion ist zum Glück isoliert. Niemand darf die Provinz verlassen.

Viele Fake News sind im Umlauf, die offiziellen Medien berichten nicht wahrheitsgetreu. Wie schon beim Landesstreik, gelten die sozialen Medien als vertrauenswürdiger. Es ist sehr schwer sich hier ein klares Bild zu machen. Was wir aber wissen ist, dass sich der Präsident auf den Galapagosinseln aufhält und kaum bis nichts über die Krise berichtet. Erst am letzten Donnerstag hat er sich das erste Mal richtig im TV zu Wort gemeldet.

Hier in Rio Negro ist die Welt noch heil. Wir geniessen unsere täglichen Spaziergänge um unsere Hektare Land. Unsere Nachbarn sind die Mutter und der Bruder von Leo sowie auf der anderen Seite der Vater mit seiner neuen Frau und die Tante mit den vier Mädchen. Wir verbringen nun viel Zeit miteinander, da ja niemand von ihnen arbeiten kann/darf. Um zu uns nach Rio Negro zu gelangen führt nur der Weg von Baños nach Puyo oder umgekehrt. Baños ist auch isoliert und hat noch keine Fälle verzeichnet. In Puyo, der grösseren Stadt Richtung Amazonas (40min. von uns) sind bis jetzt 9 Fälle registriert. Auf der ganzen Strecke zwischen den zwei Städten sind keine Fälle bekannt. Wir sind also sehr zuversichtlich, dass in Rio Negro weiterhin Ruhe herrscht. Wir sind im Vertrauen, auf das Schlimmste gefasst und hoffen das Beste.

Ich vermisse euch und freue mich, euch im Spätsommer wieder zu sehen.

Hebed Sorg und bleibt gesund.